´Ohne Studium und Staatsbürgerschaft keine Karriere`

Ich war auf der Hauptschule und am Gymnasium. Ich war im türkischen Verein und am Lehrstuhl in Karlsruhe. Ich war in Istanbul, Finnland und New York. Aber ich wollte Deutschland mitgestalten. Darum bin ich hier angekommen.

14. Februar 2009 

Geboren werde ich 1969 in Istanbul. Mit 3 Jahren komme ich nach Oberfranken. Vater Fabrikarbeiter, Mutter zuerst Putzhilfe, dann ebenfalls in der Fabrik. Deutsch lerne ich auf der Strasse, von anderen Kindern und deren Eltern. Zuhause wird türkisch gesprochen. Mein Vater verlässt die Familie, als ich 7 bin. Meine Mutter arbeitet als Fabrikarbeiterin und zieht meine jüngere Schwester und mich allein in Deutschland auf.

In der 4. Klasse möchte mein Lehrer mich nicht aufs Gymnasium schicken, weil mein Deutsch nicht gut genug wäre, obwohl ich von anderer Seite oft für mein gutes Deutsch gelobt werde. Meine Mutter und ich sind ratlos. Ich möchte studieren, wie meine zwei Onkels in der Türkei. In der 5. Klasse in der Hauptschule bin ich der Klassenbeste. Ich darf ins Gymnasium, 15 Kilometer entfernt in der nächstgrößeren Stadt. Da wir keine Ahnung haben welches Gymnasium und wann eine Anmeldung erfolgt, hilft mir mein Klassenlehrer. Erst durch ihn, wissen wir, wie und wo wir uns anmelden müssen. Die Auswahl ist schnell getan. Ich gehe dahin, wo mein Klassenkamerad aus der 4. Klasse gegangen ist ohne zu wissen, um was für ein Gymnasium es sich handelt.

Das Studium läuft nur mittelmäßig

In der 9. Klasse arbeite ich an der Schülerzeitung mit. In der 10. übernehme ich die Chefredaktion bis zur 12. In der 11. Klasse werde ich zum Schulsprecher gewählt. In der 12. zum ersten Kollegstufensprecher und Schulsprecher. Ich arbeite in der Video AG und der Natur AG mit. Gewinne verschiedene Videofilmpreise für die Schule, führe Videonachrichten neben der Schülerzeitung ein und helfe, die Schule grüner zu gestalten. Ich verbringe viel Zeit mit der Schule und für die Schule. Meine Noten sind durchweg gut. 1990 mache ich Abitur als erster Türke am Wirtschaftswissenschaftlichen Gymnasium Bayreuth in Physik, Geschichte, Englisch und Deutsch.

Ich entscheide mich Wirtschaftsingenieurwesen zu studieren und bekomme eine Zusage von der Technischen Universität Karlsruhe. An der Uni lerne ich über das akademische Auslandsamt zum ersten mal viele verschiedene Türken kennen, die nun ähnlich wie ich studieren wollen. Erstaunlicherweise verbessert sich mein zuletzt vernachlässigtes Türkisch erheblich in dieser Zeit, da ich auch viele Kontakte mit Kommilitonen aus der Türkei schließe. Das Studium läuft mittelmäßig, da ich die Freiheit genieße und viel mit meinen Freunden zusammen bin, die lieber Kaffee trinken und diskutieren wollen, als zu lernen. Ich arbeite als Hilfsassistent an der Wirtschaftsfakultät, weil das Bafög nicht reicht.

Zwei Welten

Im Grundstudium werde ich zu einem Fakultätssprecher gewählt. Ich lebe in zwei Welten: Die eine, meine deutschen Freunde aus der Fachschaft und dem Hiwijob, die zweite, meine ausländischen Freunde aus den Cafés und türkischen Organisationen (Studentenclub, Deutsch-Türkischer Verein). Nach einem Auslandssemester in Finnland drücke ich auf die Tube. Lasse alle Cafés und Diskussionsrunden hinter mir und konzentriere mich auf den Abschluss. Nur einige wenige türkische und ausländische Kommilitonen erkennen wie ich, wie wichtig der Abschluss ist. Das sind immer noch sehr gute Freunde, die ebenfalls erfolgreich in Deutschland sind.

Kurz vor dem Abschluss beantrage ich die deutsche Staatsbürgerschaft, die ich auch noch während meines Studiums bekomme. Für mich war klar, ohne das Studium und die deutsche Staatsbürgerschaft, keine Karriere in Deutschland.

Zurückgekehrt

Nach meinem Abschluss als Dipl. Wirtschaftsingenieur 1997 fange ich als Berater in einer Softwarefirma an, wenig später bei SAP. Dort übernehme ich schnell Verantwortung in Beratung und Marketing. 2002 werde ich als Expat nach New York zu SAP Global Marketing geschickt. Ich übernehme mehr Verantwortung und kann mich als kulturell offener Mensch mit türkisch-deutschem Hintergrund gut positionieren. In New York übernehme ich zum ersten mal Personalverantwortung für ein weltweites Team aus Amerikanern, Engländern und Deutschen. Bin viel für SAP unterwegs und unterstütze weltweite verkaufs- und Marketingaktionen mit meinem Team. 2007 komme ich nach Walldorf zu SAP zurück und übernehme die Leitung des globalen Ideenmanagements der SAP. Ich habe mit allen Hierarchiebenen zu tun, Arbeite direkt mit dem Vorstand zusammen bin aber auch mit vielen Entwicklern und anderen Kollegen in ständigem Kontakt, wenn es darum geht, gute Ideen, die die SAP weiterbringen, umzusetzen.

Was ich für mich gelernt habe und versuche auch weiterzugeben, ist, dass Bildung und Sprache für den Lebensweg einen immens wichtigen Einfluss haben. Bildung und Sprache fördern und erleichtern ein Netzwerk, das man für sich, seine Freunde und seine Familie nutzen kann.

Warum ich in Deutschland angekommen bin? Ich bin aus New York wieder zurück gekommen um Deutschland mitzugestalten.