Stuttgarter Zeitung, 20. Oktober 2010 (von Johanna Eberhardt)

Das Ensemble des alten Rathauses und der Kirche St. Sebastian am Mannheimer Marktplatz gehört zu den prägenden Ansichten der Stadt. Die zweiflüglige Anlage mit dem Glockenturm in der Mitte ist typisch für die einstige Metropole der Kurpfalz und belegt, wie nah sich Staat und Kirche um das Jahr 1700 waren, als die Baugruppe entstand. Heute zählt die Anlage zu den bedeutendsten Baudenkmalen der Stadt, die Kriege und Zerstörungen überdauert haben.

Während des Aufenthalts ihres Sohnes Wolfgang Amadeus in Mannheim soll die katholische Sebastianskirche die Lieblingskirche von Anna Maria Mozart gewesen sein. Die vier Glocken im Turm sind noch dieselben, die schon 1710 erklangen, als die Kirche geweiht wurde. Das Geläut allerdings gehört, samt dem dazugehörigen Glockenstuhl, nicht etwa der Kirche, sondern der weltlichen Obrigkeit.

Das mussten vor kurzem, sehr zu ihrer Überraschung, die Mannheimer Verwaltung und der Gemeinderat zur Kenntnis nehmen. Als man vor zwei Jahren die Sanierung des ehemaligen Rathauses – es beherbergt heute das Standesamt – und des Turms in Angriff genommen habe, sei man davon ausgegangen, dass für dessen Inneres, speziell die Glocken und alles, was dazugehört, die Kirche verantwortlich sei, erklärte ein Rathaussprecher. Da die Stadt seit Jahrzehnten weder Arbeiten am Glockenstuhl noch am Läutewerk durchgeführt habe, seien „alle Beteiligten“ immer der Meinung gewesen, dass die Zuständigkeit insgesamt bei der Kirche läge, erläuterte der Erste Bürgermeister und Kämmerer Christian Specht (CDU) jüngst im Gemeinderat. Doch dann musste sich die Stadt in den Gesprächen mit dem Erzbistum Freiburg und dessen Bauamt eines Besseren belehren lassen. Denn die Kirchenleute präsentierten einen Vertrag aus dem Jahr 1908. In dem waren seinerzeit die Besitzverhältnisse rund um das Rathaus und die Kirche geklärt worden; die Krämerbuden wurden demnach dem Gotteshaus zugeschlagen. Der Rathausturm aber, so steht es geschrieben „wird alleiniges Eigentum der Stadt“. Nachdem man dies im – inzwischen neuen – Mannheimer Rathaus über die Jahrzehnte hinweg aus den Augen verloren hatte, ist der Sanierungsbedarf rund um den Glockenstuhl des Turms entsprechend groß. Die Lokalzeitung warf der Stadt deshalb in den vergangenen Wochen wiederholt vor, sie habe „ein weithin einmaliges Kleinod verlottern lassen“.

Der Glockensachverständige des erzbischöflichen Bauamts will den Mannheimern dagegen ausdrücklich keine Vorwürfe machen. Die Zustände im Turm seien zwar dramatisch, erläuterte er, doch führe das auf der anderen Seite auch zu dem glücklichen Umstand, dass das historische Geläut aufgrund fehlender Umbauten bis heute praktisch im Originalzustand erhalten geblieben sei.

Um den Glockenstuhl nach seinem langen Dornröschenschlaf zu sanieren, haben die Räte jüngst 500 000 Euro genehmigt – zusätzlich zu den drei Millionen Euro, die bereits für die Renovierung des Rathauses und des Turmbaus veranschlagt sind. Lediglich die Grünen, die Linke und die FDP äußerten sich kritisch zu dem Vorhaben. 150 000 Euro will die Kirche selbst zur Glockensanierung beisteuern; einerseits wohl, weil sie sich schon im Vertrag von 1908 verpflichtet hat, einen Teil des Aufwands zu ersetzen. Zum andern auch, um die Sanierung bis zum katholischen Kirchentag 2012 in Mannheim abzuschließen. Im Hinblick auf das Großereignis werden in der Stadt derzeit 14 Kirchen instandgesetzt. Gemeinsam wollen die Erzdiözese Freiburg, die Pfälzer Kirchenschaffnei und die Gemeinden in Mannheim 18 Millionen Euro aufwenden, damit sich die Gotteshäuser von ihrer schönsten Seite präsentieren.